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#23 – Besitz & zurück in DE

SpotBeat Family Podcast
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#23 - Besitz & zurück in DE
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George Clooney hat 2009 in dem Film Up in the Air einen Mann Namens Ryan Bingham gespielt. Einen Typen mit einem ungewöhnlichen Job. Er wurde von Konzernen angeheuert, um Entlassungsgespräche mit Angestellten des Konzerns zu führen. Sein Beruf war es also Menschen zu erklären, dass sie ab morgen keinen Arbeit mehr haben.

Diesen Beruf gibt es übrigens wirklich, aber das nur nebenbei.

Neben seinem Beruf als Frustableiter, verdient sich Ryan Bingham im Film noch etwas dazu. Er hält nämlich Seminare mit dem Titel „What’s in Your Backpack?

Am Anfang des Seminars kommt er auf die Bühne, stellt einen leeren Rucksack auf den Tisch, öffnet ihn und beginnt zu sprechen:

Wie viel wiegt dein Leben? 

Stell dir einen Moment lang vor, du würdest einen Rucksack tragen. Ich möchte, dass du die Riemen auf deinen Schultern spürst. Spürst du sie? Jetzt möchte ich, dass du in den Rucksack all die Dinge packst, die du in deinem Leben besitzt. Du beginnst mit den kleinen Dingen. Die Dinge auf den Regalen und in den Schubladen, der ganze Schnickschnack, die Sammlerstücke. Spüre wie der Rucksack schwerer wird. Dann fängst du an die größeren Dinge rein zu legen. Kleidung, Tische, Lampen, Wäsche, deinen Fernseher.

Der Rucksack sollte jetzt ziemlich schwer sein. Und dann machst du weiter. Deine Couch, dein Bett, dein Küchentisch. Stopf das alles da rein. Dein Auto, pack es auch da rein. Und dein Zuhause, egal ob es eine Einzimmerwohnung oder ein Haus mit zwei Schlafzimmern ist. Ich möchte, dass das du alles in diesen Rucksack packst. 

Und jetzt versuch zu gehen.

Ganz schön schwer, was? Das ist es, was wir uns tagtäglich antun. Wir belasten uns, bis wir uns nicht mehr bewegen können. Und Bewegung, das ist Leben.

Jetzt zünde ich diesen Rucksack an. Was würdest du davon retten wollen? Was willst du da rausnehmen? Fotos? Fotos sind was für Leute, die sich nicht erinnern können. Trink nen Tee und lass die Fotos einfach verbrennen. Lass das alles verbrennen und stell dir vor, du wachst morgens mit nichts auf. Ein komischer Gedanke, nicht wahr?

Und jetzt wird’s schwierig, also bleib bei mir. 

Du hast einen neuen Rucksack. Nur dieses Mal möchte ich, dass du ihn mit Menschen füllst. Fange mit flüchtigen Bekannten an, danach Freunden von Freunden, Leuten aus deinem Büro, und dann kommst du zu den Menschen, denen du deine intimsten Geheimnisse anvertrauen würdest. 

Deine Cousins, Tanten, Onkel, deine Brüder und Schwestern, deine Eltern und schließlich dein Ehemann oder Ehefrau, dein Freund oder deine Freundin.

Du steckst sie alle in diesen Rucksack.

Keine Sorge, ich werde dich jetzt nicht bitten, ihn anzuzünden. 

Aber spüre das Gewicht. Und lass dich nicht täuschen – deine Beziehungen sind die allerschwersten Bestandteile deines Lebens. Spürst du, wie die Gurte in deine Schultern schneiden?

All diese Diskussionen und Streitereien, Geheimnisse und Kompromisse. Du musst dieses ganze Gewicht nicht tragen. Warum legst du die Tasche nicht einfach ab? 

Es gibt Tiere, die dazu bestimmt sind sich gegenseitig zu stützen und ein Leben lang in Symbiose miteinander zu leben – verliebte monogame Schwäne beispielsweise. Wir sind nicht diese Tiere. Je langsamer wir uns bewegen, desto schneller sterben wir. Wir sind keine Schwäne. Wir sind Haie.

Freie Übersetzung von What’s in your Backpack – Up in the Air [Ryan Bingham]

Willkommen zu der 23. Folge des SpotBeat Family Podcasts. Mein Name ist Sergej.

Ich gebe zu, dass die Worte aus diesem Film damals mächtig Eindruck bei mir hinterlassen haben. Ich war nicht mit allem einverstanden, was er gesagt hat. Und auch nicht mit seinem Lebensstil. Aber es hat mich zum Nachdenken gebracht.

Laut der Studie „Life at Home in the 21st Century“ aus dem Jahr 2012 gibt es in einem durchschnittlichen amerikanischen Haushalt ca. 30.000 Gegenstände. Wir Europäer sind wohl nicht ganz so schlimme Konsumopfer. Wir sollen angeblich „nur“ 10.000 Gegenstände pro Haushalt besitzen.

Vor einer Woche sind wir wieder nach Deutschland zurückgekommen und haben uns für die kommenden Monate das Ziel gesteckt unser Haus leer zu räumen und es anschließend zu vermieten. In den vergangenen 5 Monaten haben wir nämlich ein Leben kennengelernt, dass uns sehr gut gefällt. Und wir wollen die nächsten Jahre mehr davon. Wir wollen unsere große Immobilie gegen eine wesentlich kleinere Mobilie tauschen und dann weiterfahren.

Jetzt, wo wir vor der Aufgabe stehen das Haus leer zu räumen und alles zu verkaufen, zu verschenken und wegzuwerfen, was wir nicht mitnehmen können, verstehe ich was Ryan Bingham mir sagen wollte:

Nicht wir besitzen Dinge, die Dinge besitzen uns.

Mehr als 10.000 Gegenstände warten jetzt darauf von meiner Frau und mir angefasst zu werden und allein bei dem Gedanken daran, bekomme ich ein Augenzucken. Keine Ahnung wohin damit und wie wir das alles wegschaffen wollen. Und weil alles mal Geld gekostet hat, was wir ja irgendwie mit unserer Lebenszeit bezahlt haben, können und wollen wir nicht einfach alles wegwerfen.

Dass wir den ganzen Krempel nicht wirklich brauchen und bestens ohne klar kommen, haben wir uns bereits bewiesen. Wir haben monatelang auf einer Fläche gelebt, die halb so groß wie unser Schlafzimmer im Haus ist. Und bis auf eine Waschmaschine, eine vernünftige Dusche und einen Backofen, hat im Grunde genommen nichts gefehlt.

Sogar mehr als das. Wir hatten viel mehr Freizeit, weil wir wir im Gegensatz zu einem Haus, sehr viel weniger Besitz verwalten mussten, denn alles fällt kleiner aus. Der Hausputz ist in 30 Minuten erledigt. Kleinere Reparaturen und Erweiterungen brauchen eine viertel Stunde. Und selbst wenn die Kinder etwas liegen lassen, ist es in 5 Minuten weggeräumt. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass wir um den Faktor 10 weniger Aufwand hatten.

All die unnötigen Dinge, die wir im Laufe der vergangenen Jahre im Haus angehäuft haben, empfinden wir heute mehr oder weniger als Ballast. Hanteln, die unbenutzt Ecke liegen und mich jedes Mal an meine Wampe erinnern, wenn ich sie sehe. Eine Eismaschine, die seit Jahren keiner mehr benutzt, weil der Aufwand sie zu reinigen größer ist, als ihr Nutzen. Eine Menge Geschirr, das höchstens alle 5 Jahre bei sehr großen Feiern rausgeholt wird. Der unzählige Inhalt von Schubladen und Schränken. Usw.

Aber, brauchen wir das alles überhaupt?

Wir können diese Frage mittlerweile ganz eindeutig beantworten: Es kommt drauf an.

Ein ortsunabhängiges, mobiles Leben ist reich an immateriellen Gütern. Neue Umgebungen, neue Reize, neue Eindrücke. Viele neue Menschen, denen man unterwegs begegnet und ihre Geschichten. Neue Herausforderungen, den man sich zwangsläufig stellen muss. Langeweile gibt es also praktisch kaum. Aber nur, wenn das Wetter passt. Denn das Leben ist sehr nah an der Natur und spielt sich vorwiegend draußen ab.

Außer man ist Informatiker, hat ein Projekt und muss 8 stunden in einer kleinen Schachtel für einen Kunden arbeiten, während die anderen im Mittelmeer plantschen.

Tja was soll ich sagen. Hab ich mir selbst ausgesucht und bin auch dankbar für meinen Beruf, der uns das was wir tun, überhaupt erst ermöglicht.

Ein ortsabhängiges Leben, also das was wir seit zwei Wochen wieder in unserem Haus führen, hat auch seine Vorteile. Wir haben viel Platz, Privatsphäre und Komfort. Wenn wir es drauf anlegen, schaffen wir es uns einen ganzen Tag lang nicht zu begegnen. Und wir müssen auch nicht rausgehen. Das Lebens spielt sich auf 240 Quadratmetern ab und ist…. zum sterben langweilig.

Mein Hirn erkennt praktisch keinen Unterschied zwischen den vergangenen 14 Tagen. Es ist in meinem Gedächtnis eine homogene Suppe von sich ständig wiederholenden gleichen Abläufen. Damit uns nicht langweilig wird brauchen wir den Kram, den wir bereits besitzen und müssen, damit wir überhaupt neues erfahren, weiter konsumieren, um wenigstens ein paar neue Reize in unserem Leben zu setzen. Wir leben das, was man als Cocooning bezeichnet.

Als Cocooning […] wird eine Tendenz bezeichnet, sich vermehrt aus der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen. […] Der Begriff […] bezeichnet eigentlich die Verpuppung von Insekten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Cocooning

Diesen Effekt konnten wahrscheinlich die meisten von uns während der s.g. Pandemie an sich selbst verstärkt beobachten. Zumindest uns geht es so.

Menschen kauften sich Sportgeräte, Gartenmöbel, Swimmingpools und Minibars. Sie brachten ihre Gärten auf Vordermann und abonnierten Netflix. Installierten sich Whirpools auf ihrem Balkon, renovierten ihre Wohnungen und kauften allerlei Zeugs im Internet, das sie nicht wirklich brauchten.

Kurz: sie zogen sich zurück und machten sich in ihrem Kokon so richtig schön gemütlich. So wie Insekten eben, die sich verpuppen. Daher der Begriff „Cocooning“.

Wie gesagt, sind wir keine Ausnahme. Gefühlte 95% unserer Zeit verbringen wir in den eigenen vier Wänden. Gehen mal ne Runde spazieren, Rasenmähen oder Einkaufen. Aber das war es auch schon.

Und weißt du was? Es ist irgendwie ein sehr komfortables und gemütliches vor sich hin existieren. Fressen, schlafen, Serien schauen. Und ab und zu die Maus im HomeOffice bewegen, um Geld zu verdienen.

Ich habe ja durchblicken lassen, dass wir dieses Leben im Kokon noch vor unserer Reise hinterfragt hatten. Aber uns fehlte eine Alternative. Und auch die Erfahrung, wie sich das alternative Leben im Vergleich zum Kokon anfühlen könnte. Wir hatten Angst vor dem Unbekannten, aber sie war nicht berechtigt. Ich bin froh, dass wir unseren Hintern hoch bekommen haben.

Heute sind wir schlauer und sprechen aus Erfahrung. Wir haben eine alternative Lebensweise ausprobiert, sind komplett auf den Geschmack gekommen und wollen dabei bleiben. Bestimmt nicht für immer, aber zumindest solange es uns gefällt und es sich richtig für uns anfüllt.

Und anders als vor 6 Monaten, haben wir heute eine viel bessere Vorstellung, von dem was wir wollen. Wir haben eine Art Vision und eine grobe ToDo Liste:

  1. Altes Wohnmobil verkaufen
  2. Eine Firma im Ausland gründen
  3. LKW finden und den Ausbau starten
  4. LKW Führerschein machen
  5. Haus leer räumen, vermieten und losfahren

Ob da sich mal nicht jemand übernommen hat…

Das Gefühl habe ich auch, aber hey: Lieber sich mehr vornehmen und weniger schaffen, als sich nichts vorzunehmen und auch nichts zu schaffen, oder?

Das alte Wohnmobil wollen wir verkaufen, weil es uns nicht autark genug ist. Wir wollen einen LKW-Koffer ausbauen, der es in sich hat. Leider auch finanziell. Aber es nunmal ein kleines Haus mit allem drum und dran. Denn selbst ein Arbeitszimmer habe ich vorgesehen.

Das was du als Arbeitszimmer bezeichnest, wäre den meisten Leuten als Gäste-WC zu klein.

Dafür ist es in 5 Minuten aufgeräumt und es ist ruhig.

Da ich im Moment nur einen Lappen für den PKW habe, werde ich wohl Aufgrund der Größe des Fahrzeugs nicht um einen LKW Führerschein kommen. Es gibt in Deutschland Fahrschulen, die einem Bootcamp gleichen. Man schläft, isst, lernt und fährt dort. Am 10. Tag gibt es eine Prüfung und wenn man sich nicht blöd anstellt, kommt man mit einem Führerschein der C-Klasse raus.

Wir wollen uns spätestens zum Ende des Jahres auch aus Deutschland abmelden. Bis auf die Staatsbürgerschaft, wollen wir alle Verbindungen kappen. Das heißt auch mein Gewerbe, über das ich aktuell Rechnungen stelle.

Da meine Kunden aber für das Finanzamt eine absetzungsfähige Rechnung benötigen, gründe ich eine IT Firma in Georgien. Das klingt nach einer aufwendigeren Sache, als es in Wirklichkeit ist. Da Georgien ein fortschrittliches Land ist und der Staat sich als Dienstleister der Menschen versteht, ist die Gründung einer GmbH-artigen Firma kein großes Ding. Es ist an einem Tag erledigt.

Wir haben auch eine Entscheidung im Bezug auf unser Haus getroffen. Es einfach so stehen lassen, können und wollen wir nicht. Es muss bewohnt werden. Es zu verkaufen und in wertlose Euros umzuwandeln kommt auch nicht in Frage.

Daher habe ich die letzte Woche mit einigen Hausverwaltungen telefoniert und gefragt, ob sie Interesse an der Vermietung und Verwaltung von unserem Haus haben. Und siehe da: Nein, haben sie nicht.

Ich habe noch nicht rausgefunden, warum das so ist, aber es sieht so aus, als ob wir uns selbst um die Vermietung kümmern müssten. Nagut, dann lernen wir das eben auch.

Eine Frage habe ich bisher unter den Tisch fallen lassen. Was ist eigentlich mit unseren Kindern und der Schulpflicht? Denn wir sind ja wieder in Deutschland.

Nun, unsere Einstellung dazu hat sich nicht geändert. Gesunde Menschen sollten keine Maske tragen und sich nicht testen müssen. Schon gar nicht kleine Menschen mitten im Wachstum. Ob unsere Kinder bis zu den Sommerferien in die Schule gehen oder nicht, machen wir vollständig davon abhängig, welche Regeln in der Schule gelten.

Nach den Sommerferien melden wir sie ab. Vielleicht werden wir eine deutsche Online-Schule ausprobieren, die ausschließlich von im Ausland lebenden Kindern besucht wird. Mal sehen.

Feststeht für uns, dass Kinder eine gewisse Basis brauchen. Grundrechenarten, Lesen und Schreiben beispielsweise. Mit unseren beiden älteren Kindern, die beides in der Schule gelernt haben, fällt es uns einfacher. Sie können sich bereits Wissen selbst aneignen. D.h. uns fällt es wesentlich leichter weiteres Wissen zu vermitteln, weil die notwendigen Werkzeuge dafür bereits da sind.

Mit unserer Jüngsten ist das anders. Sie war gerade mal zwei Monate in der Schule und kann noch nicht lesen. Aber sie hat Lust lesen zu lernen. Nun sitzt meine Frau jeden Tag mit ihr und lern ein paar Buchstaben. Und jedes Mal wenn sie fertig sind, sagt sie:

Boah, hätte ich nie gedacht, dass es so schwer ist, einem Kind das Lesen beizubringen.

Manchmal haben wir aber auch das Gefühl, dass sie uns veräppelt. Sie kann die beiden Buchstaben M und U nicht zu einem Laut zusammenfügen, liest aber dann aus heiterem Himmeln das Wort Salami vor. Wie auch immer das zusammenpasst.

Aktuell sind wir so eingestellt, dass wir den Kids eine Grundlage geben wollen. Im Prinzip der Stoff der Grundschule und alles was wir darüber hinaus für essenziell halten. Dreisatz, Prozentrechnen, usw. Aber generell wollen wir verstärkt ihre Interessen fördern und sie ausprobieren lassen.

Die Welt verändert sich immer schneller und nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre, können wir aus heutiger Sicht leider nicht sagen, ob unsere Kinder in 10 Jahren eine Künstliche Intelligenz programmieren oder Kartoffeln aufziehen können müssen. Wir möchten sie in die Lage versetzen sich beides selbstständig aneignen zu können. Aber es ist ein Prozess.

So genug gelabert.

Ich weiß es nicht genau, aber ich hoffe, dass wir uns das nächste Mal aus Georgien hören. Vielleicht haben wir bis dahin auch das Wohnmobil für den Verkauf inseriert.

Ich werde wie immer hier berichten. Dir wünsche ich eine sonnige Woche.

Bis dann.

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Kein Spam. versprochen.

Über diesen Autor gibt es soviel zu sagen, das passt hier alles gar nicht hin. Am Besten kontaktieren und kennenlernen 😉.

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