#19 – Ocupados & Hippies
Stell dir vor, du bist mittellos und würdest gern ein paar Hektar Land in bester Strandlage bei Marbella besitzen. Land, das sich zwischen heißbegehrten Villen und Hotelanlagen befindet. Also 1A Lage. Die 5 Millionen Euro, die es kostet, hast du nicht mal eben auf deinem Konto. Was tust du also?
Wir standen mit unserem Wohnmobil diese Woche zwei Nächste auf genau diesem Land, um das es geht. Und zwar mitten unter den Leuten, die sich mit dieser Frage schon länger beschäftigen. Und wie es aussieht, könnte das Land schon bald ihnen gehören, ohne dass sie auch nur einen Cent dafür bezahlen.
Wie sie das anstellen und was es noch so über spanische Eigentumsverhältnisse zu wissen gibt, erzähle ich dir heute.
Willkommen bei der 19. Folge des SpotBeat Family Podcasts. Mein Name ist Sergej.
Diese Woche begann für uns an einem Strand, an dem wir uns zugegebenermaßen nicht besonders willkommen gefühlt haben.
Verstehe ich nicht. Nur weil ihr den Spaniern mit eurer dicken Elefantenkuh gleich vier eh schon knappe Parkplätze weggenommen habt?
Ich gebe es ja zu. Wir standen zum ersten Mal innerhalb einer Ortschaft direkt an der Strandpromenade. Es war eine Menge los und wenn ich bedenke, wieviele Wohnmobile da standen, dann kann ich es schon nachvollziehen, dass die Einheimischen stinkig werden.
Egal. Wo wir nicht willkommen sind, wollen wir nicht bleiben und sind weiter Richtung Malaga gefahren. Wir sind GPS Koordinaten gefolgt, die uns Bekannte zugeschickt haben.
Als ich mir die Koordinaten auf der Satellitenansicht angesehen habe, dachte ich erstmal, dass es ein Fehler sein muss. Der Strand vor Marbella hat eine Länge von 12km und ist komplett mit Villen und Hotels zugekleistert. Die Gegend schreit einfach nach Geld. Und es ist schon sehr ungewöhnlich, dass es ausgerechnet hier ein unbebautes Grundstück gibt, auf dem auch noch Wildcamper stehen dürfen.
Bevor ich dir über dieses spezielle Grundstück erzähle, sollten wir mal kurz über eine Spanische Besonderheit sprechen. Genau genommen kennen wir das aus anderen Ländern auch. z.B. aus Paraguay.
Auch mit Anton hatte ich darüber gesprochen:
Also die hälfte der Leute, mit denen ich hier studiert hatte waren so drauf. Sie hatten kein Geld für die Bleibe oder wollten es sparen, brachen deshalb in leer stehende Ferienhäuser ein und wohnten da, während sie jeden Tag zur Uni gingen. Ocupados sind voll normal hier.
Vielleicht kannst du dir das Wort Ocupado selbst herleiten. Es klingt doch so ähnlich wie okkupieren, oder? Ocupados sind Menschen, die fremdes Eigentum besetzen. Das gilt nicht nur für Häuser, sondern auch für Grundstücke. Und in Spanien sind Ocupados eine Art Normalität.
Ich kann nichts zu den Gesetzten hier sagen, aber es scheint so zu sein, als ob es hier eine Art Gewohnheitsrecht gibt. Ähnliches gibt es in Deutschland auch. Wenn ich z.B. 10 Jahre lang die Einfahrt des Nachbarn benutze, um bei mir aufs Grundstück zu fahren und er nichts dagegen sagt, dann kann er mir das auch juristisch nicht mehr verbieten. Denn dann habe ich das Recht auf meine Gewohnheit über sein Grundstück zu fahren.
Das geht in Spanien aber noch eine Spur weiter. Hier mal ein Tutorial für ganz Dreiste:
Such dir ein Grundstück aus, auf dem eine Ruine steht. Da stellst du dich erstmal für ein paar Wochen mit deinem Camper hin. Versteck dich nicht. Die Nachbarn sollen dich ruhig sehen. Wenn keiner kommt und dich verjagt, gehst du nach ein paar Wochen zu der Stadt und meldest dich dort wohnhaft. Dann fängst du an kleinere Baumaßnahmen an der Ruine vorzunehmen. Ganz langsam. Mal ne Mauer zu reparieren oder so. Trag Zeugs zusammen. Richte dich ein. Stell einen Wasserspeicher hin. Baue den Kids einen Spielplatz. Wohne dort. Nach ein paar Monaten bekommt man dich nicht mehr so leicht da runter. Und nach ein paar Jahren kannst du sogar das Eigentum an dem Grundstück übertragen bekommen.
Der Schlüssel zum Erfolg ist es vom Eigentümer des Grundstücks unbemerkt zu bleiben. Denn nur er kann eine Räumung veranlassen. Eigentum scheint in Spanien also nicht gerade in Stein gemeißelt zu sein. Man muss sich darum durchgehend kümmern.
Oder ein anderer tut es für dich.
Das muss man wissen, wenn man sich Land oder Wohnraum hier anschafft. Denn – so merkwürdig es aus Deutscher Sicht auch klingt – auch Ocupados haben Rechte.
Zurück zu diesem speziellen Grundstück am Strand.
Wir folgten den GPS Koordinaten und nahmen die Ausfahrt, die uns das Navi vorgeschlagen hat und dachten erstmal wir wären falsch. Wir nahmen eine, sagen wir mal, für Wohnmobile nicht optimale, sehr enge Einfahrt in eine Art Jungle. Wir quälten uns 300 Meter tief ins Gelände und sahen dann das, was die Mehrheit wohl unter einer Hippie-Kommune verstehen würde.
Hier und da wurden zwischen den Bäumen freie Flächen geräumt, auf denen dann jeweils mehrere Fahrzeuge standen. Chaotisch, durcheinander und immer da, wo gerade Platz war. Nicht solche weißen Karren von der Stange, wie unsere, sondern selbstgebastelte, bunte Fahrzeuge mit einem eigenen Charakter. Vom PKW bis zum LKW.
Wir sahen Zelte, Hängematten, Schaukeln, Schaukelstühle, Sofas, Zäune, Lagerfeuer und all das, was dazugehört, wenn sich Menschen irgendwo länger einrichten. Und die Menschen, die diesen Platz bevölkern sind ebenso bunt, wie ihre Autos. Leute aus Polen, Slowakei, Schweiz, Deutschland, Spanien, Belgien, Niederlanden und vielen weiteren Ländern.
Wir haben sowohl Neugeborene, als auch kurz vom Tod stehende gesehen. Es waren welche da, die allein mit ihrem Hund unterwegs sind und auch große Familien mit Kindern. Einige waren erst vor ein paar Tagen angekommen, andere lebten schon seit Jahren dort.
Ich schätze dieser Ort ist der feuchte Traum jedes Aussteigers. Jeder hat das Recht dort anzukommen und zu bleiben, wenn er Platz findet. Es ist warm, schattig, kostet nichts, ist direkt am Strand und es gibt sogar eine Strandbar.
An keinem Ort hatten die Kinder so viel Spaß, wie hier. Sie sind morgens raus und wir haben sie stundenlang nicht gesehen. Einfach deshalb, weil es dort so viele andere Kinder in unterschiedlichen Altersstufen gibt und alle jemanden gefunden haben, mit dem sie spielen konnten.
An diesem Ort haben wir gleich mehrere Lektionen in Sachen Zivilisation bekommen. Die erste war das Containern.
Das was?
Containern. Abends, nachdem die Lebensmittelmärkte schließen, ziehen die Leute vom Platz mit großen Taschen und Rücksäcken auf die Hinterhöfe der Geschäfte und durchwühlen die Mülltonnen nach noch essbaren Lebensmitteln.
Achso ist das. Der Hippie geht also nicht einkaufen, sondern spart sich lieber das Geld und klaut Sachen aus dem Müll?
So einfach ist das nicht, denn das Containern ist ein Symptom für ein gesellschaftliches Problem.
Jeden Tag werfen Lebensmittelgeschäfte in unserer zivilisierten Welt Tonnenweise gute Lebensmittel weg. Entweder weil das Mindeshaltbarkeitsdatum kurz vom Ablauf steht, das Gemüse nicht mehr so knackig aussieht oder weil einfach die nächste Werbeaktion ansteht und der Platz im Regal benötigt wird.
Als die Leute vom Containern wiederkamen, waren die Säcke prall gefüllt. Sie breiteten eine Plane von 3×3 Metern aus und legten alles in die Mitte, was sie mitgebracht hatten. Baumkuchen, Zuckerschoten, Zwiebeln, Säcke mit Orangen, Energiedrinks, Brot, Dosenkram usw. Viel mehr Lebensmittel, als wir pro Woche für unsere 5-Köpfige Familie benötigen.
Dann kamen die restlichen Leute vom Platz zusammen und es wurde geteilt. Auch wir bekamen etwas ab. Das was niemand sofort brauchte wurde an einem bestimmten Platz in einer Kiste abgestellt, aus der sich später alle bedienen können.
Wir sind wirklich dankbar dafür, dass unsere Kinder das mal mit den eigenen Augen gesehen haben. Es hat uns auf jeden Fall zum Nachdenken gebracht. Auch, dass einige Kinder vom Platz nagelneue Markenschuhe tragen.
Die Kids der Schönen und der Reichen aus der Nachbarschaft, die Weihnachten in Marbella verbracht hatten, mochten ihre Geschenke wohl nicht und haben das getan, was Kinder tun sollten, wenn ihnen Geschenke nicht gefallen: Sie schmissen sie originalverpackt in die Mülltonne.
Die zweite Lektion in Sachen Zivilisation haben wir von einem Spanier bekommen, der dort schon einige Jahre lebt. Der kam angetrunken zu uns rüber, schmiss einen unserer Stühle in die Ecke, gestikulierte wild und meinte:
Bla, bla, Casa, bla, bla, bla. Respeto, bla, bla. Respeto!
Da er ein guter Pantomime war und ich mir gut vorstellen kann, was er mit Casa und Respeto gemeint haben könnte, kann ich dir übersetzen, war er von uns wollte.
Hört mal ihr Arschlöcher. Dahinten ist mein zu Hause. Das hier ist meine Einfahrt. Hört auf sie ständig mit euren Tischen und Stühlen zu versperren, denn ich muss mit meinem Auto hier durch. Ich verlange von euch Respekt.
Die Art und Weise, wie er seinen Standpunkt deutliche machte, hat uns nicht gefallen. Vor allem deshalb, weil die Kinder es mitbekommen haben. Und klar hätten wir darauf einsteigen können, denn der Platz gehört nicht ihm. Aber wir haben stattdessen unsere Sachen gepackt und sind auf einen Campingplatz gefahren. Wir wollten eh am nächsten Morgen weiterfahren und sind dann eben früher los.
Ja, ja schon verstanden. Ich habt den Schwanz eingezogen und habt euch aus dem Staub gemacht. Aber warum darf dieser Suffkopf und der Rest der Hippies auf diesem Premiumgrundstück überhaupt hausen?
Ja die Story ist echt gut. Also nochmal zu Erinnerung: Das Grundstück ist kurz vor Marbella, hat eine Fläche von knapp 13 Hektar und ist einige Millionen allein schon Aufgrund der Lage wert. Das hat sich vor ein paar Jahren wohl auch ein Investor gedacht und kaufte das Grundstück, um ein Hotel zu errichten.
Dumm nur, dass Okupados dort hausten. Sie steckten Greenpease den Hinweis, dass ein super seltener und bedrohter Vogel in den Bäumen nistet. Greenpease setzte vor Gericht einen Baustopp durch und seit dem ist dieses Land ein Naturschutzgebiet.
Der Investor verkaufte das Land an einen Deutschen weiter, der in den USA lebt und der duldet die Hippies dort. Denn er hat dieses Land für einen Bruchteil dessen Werts erworben und kann trotzdem nichts damit anfangen.
Jetzt haben wir diesen netten Mix: Ocupados, ein Grundstück voller Hippies, das Millionen wert ist und einen Eigentümer, der nichts damit anfangen kann. Was also tun?
Die Hippies wendeten sich an einen Anwalt und er schlug folgendes vor:
Hört her Ihr Hippies. Gründet eine gemeinnützige Organisation. z.B. eine, die sich für den Schutz dieses Areals und das Leben von Mensch und Vogel in friedlichem Nebeneinander einsetzt. Der Eigentümer dieses Grundstücks spendet dieses Areal eurer Organisation und bekommt als Ausgleich von der Spanischen Regierung 2,5 Millionen Euro. Also mehr als er investiert hat und auch mehr, als er für das Grundstück auf dem freien Markt bekommen könnte. So könnt ihr Hippies weiter dort hausen und auf den Vogel aufpassen und der Eigentümer hat ein gutes Geschäft gemacht. Möget ihr alle etwas davon haben.
Netter Plan, oder?
Wenn auch du in der Kommune mal vorbei schauen möchtest, dann such einfach nach „Playa las Mimosas“. Die Kartenapp des Konzerns, der besonders für den Schutz deiner Privatsphäre bekannt ist, springt direkt dahin.
Übrigens, wenn du zufälligerweise ein Kind erwartest, dann mach ihn doch zu einem gebürtigen Spanier. Denn dann stehen deinem Nachwuchs 3000qm Land zu. Das wäre also die dritte Alternative, um an Land in Spanien zu kommen.
So viel also dazu. Wie geht es denn bei uns weiter?
Da wir mittlerweile schon einiges von der Landschaft Andalusiens gesehen haben, müssen wir sagen, dass es uns hier viel besser als in Murcia gefällt. Murcia ist trocken und steinig. Dort gibt es selten mehr als ein paar Dornenbüsche.
Andalusien dagegen ist grün. Es gibt Wälder und allerlei Arten von Bäumen. Von Palmen bis zu Nadelbäumen. Selbst am Strand gibt es Dünen, die üppig bewachsen sind.
Und noch ein Ding ist uns aufgefallen. Die Menschen in Andalusien scheinen lockerer im Umgang mit der s.g. Pandemie zu sein. Ich würde sagen, es gibt eine Art Gefälle in der Anzahl der Maskenträger. Je weiter wir Richtung Gibraltar und Tarifa kommen, desto entspannter werden die Leute.
Während weiter östlich der medial gut gebildete Spanier selbst am Strand FFP2 Masken trägt, sehen wir in Marbella sehr viel weniger davon. Klar gibt es die auch hier, aber wie gesagt, deutlich weniger. Vielleicht sind die Andalusier weniger gut informiert oder so. Ich weiß es nicht.
Auch kommen wir problemlos in Restaurants rein und auf Campingplätze rauf. Keiner fragt nach Zertifikaten, während wir in Aguilas nichtmal an einer Tankstelle duschen durften.
Insofern ist das Leben aktuell sehr entspannt. Wir überlegen zwar uns bald wieder Richtung Deutschland aufzumachen, aber wir reißen uns nicht gerade darum. Leider haben wir ein paar Dinge in Deutschland zu erledigen und die Verwandtschaft vermissen wir natürlich auch, aber wir kommen nur zu Besuch.
Diese Woche werden wir den Fels von Gibraltar erreichen und dann weiter nach Tarifa fahren. Das ist der südlichtes Spot auf unserer Tour und auch der letzte. Dort entscheiden wir, ob es weiter nach Portugal oder zurück nach Alicante geht. Mal sehen.
Nächste Woche gibt es wieder ein Update. Wir hören uns.
Bis dann.
Neue Folgen? Kein Problem.
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Sergej
Über diesen Autor gibt es soviel zu sagen, das passt hier alles gar nicht hin. Am Besten kontaktieren und kennenlernen 😉.
Ein Kommentar
marius
Wo bleibt Folge 20?
kthxbye